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Vorstellung des Tätigkeitsberichts für 2022

In 2022 haben sich wieder mehr als 1200 Menschen hilfesuchend an den Wendepunkt e.V. gewandt

Im vergangenen Jahr ist glücklicherweise wieder etwas Normalität in unsere Arbeit eingekehrt und wir konnten wie gewohnt unsere Beratungen, Hilfen, Schulprojekte und Fortbildungen durchführen.

Wir mussten allerdings feststellen, dass die Einschränkungen durch die Pandemie bei vielen Kindern und Jugendlichen nicht ohne Folgen geblieben sind. So haben uns ungewöhnlich viele anlassbezogene Anfragen aus den Schulen erreicht, in denen es um Konflikte im Klassenverbund, Mobbing und das soziale Miteinander ging.

Die Folgen der besonderen Belastungen haben uns auch in unseren Fachbereichen Traumazentrum und den Erziehungshilfen sehr beschäftigt. Kinder, Jugendliche und Familien reagieren auf die Erfahrungen der vergangenen Jahre ganz unterschiedlich – was manche bewältigen können, ist für andere hochstressig.

„Corona hat eindeutig etwas mit den Kindern und Jugendlichen gemacht. Viele Jugendliche sind nach Corona beispielsweise ängstlicher geworden. Sie müssen erst wieder herausfinden, wie sie in der Gruppe klarkommen und ihre Rolle finden – da war viel Hilfestellung erforderlich“, berichtet Frauke Schöffel, Leiterin des Fachbereichs Familien- und Erziehungshilfen. „Wir hatten vor Corona viele Schüler in unseren Familien, die gut integriert waren. Da mussten wir jetzt teilweise ganz von vorne anfangen. Corona hat die Familien verändert, Netzwerke sind zusammengebrochen und die Systeme waren hochbelastet.“

Zeitweilig wurden von den Jugendämtern mehr Anfragen an die Familienhilfen herangetragen, als wir bearbeiten konnten – etwa dreißig Familien mussten abgelehnt werden, 71 konnten aufgenommen werden. „Den Fachkräftemangel spüren wir sehr deutlich auf allen Seiten und Ebenen im sozialen Bereich. Sozialarbeiter sind die am meisten gesuchten Fachkräfte. Und auch in den Jugendämtern sind seit Monaten Stellen unbesetzt. Wenn wir dann eine Kindeswohlgefährdung melden müssen und am anderen Ende niemanden erreichen, dann ist das schnell kritisch“, berichtet Schöffel. „Es klappt mit unseren Kooperationsberatern noch ganz gut, aber es wird sich weiter verschärfen.“

„Wenn es mit dem Fachkräftemangel so weitergeht, wird es Auswirkungen haben und zulasten der Kinder, Jugendlichen und ihren Familien gehen“, sagt Dirk Jacobsen, Geschäftsführer des Wendepunktes. „Dann kann Kindern, Jugendlichen, die Probleme haben, nicht mehr geholfen werden, einfach weil es zu wenig Fachkräfte gibt.“

Es bräuchte mehr Ausbildungsplätze, eine bessere Bezahlung, mehr Wertschätzung für die wichtige Arbeit und klare Impulse von Seiten der Politik, daran sind sich die Wendepunkt-Mitarbeiter einig.

Im Bereich Traumazentrum musste im vergangenen Jahr zum Glück niemand abgewiesen werden, betont Sascha Niemann, Leiter des Fachbereichs. Denn gerade nach hochbelastenden und traumatisierenden Erfahrungen ist eine schnelle Hilfe sehr wichtig. Und nicht selten braucht das ganze Familiensystem Hilfe. „Man sagt allgemein, dass Trauma ansteckend ist. Das ganze System organisiert sich um die Betroffenen, versucht zu unterstützen. Das belastet alle – deshalb bieten wir, wenn nötig, Begleitung für die ganze Familie an“, erläutert Sascha Niemann. Im Notfall kann, wie in diesem Jahr beispielsweise nach dem Messerattentat von Brokstedt, schnell reagiert werden. Während Patienten bei niederlassenen Psychologen zumeist eine Wartezeit von einem halben Jahr oder mehr haben, bietet die Interdisziplinäre Trauma-Ambulanz Westholstein kurzfristig Hilfe und Unterstützung. „Unser spezialisiertes Behandlungsangebot, das traumafokussiert und interdisziplinär im Austausch mit der Regio Klinik arbeitet, ist sehr gut aufgestellt, und wir erreichen damit viele Familien in den Kreisen Pinneberg und Steinburg. Im vergangenen Jahr sind insgesamt 534 Beratungsanfragen an den Fachbereich Traumaintervention und Beratung, zum dem unter anderen die Trauma-Ambulanz, die Beratungsstelle gegen sexuelle Gewalt und die Männerberatung gehören, herangetragen worden“.

Darunter waren auch viele Flüchtlinge und ihre Familien – aus der Ukraine sowie anderen Ländern. Insgesamt haben den Wendepunkt im vergangenen Jahr 1236 (2021: 1246) Hilfeanfragen erreicht.

Wir sind froh, dass wir an den Schulen wieder ohne Einschränkungen unsere Präventionsprojekte durchführen konnten. Mit insgesamt 180 Projekten haben wir mehr als 3600 Schülerinnen und Schüler erreicht – hinzu kamen außerdem noch Lehrkräfte und Eltern.

Unser Fortbildungszentrum hat 237 Fort- und Weiterbildungen durchgeführt – dazu kamen noch 50 Fortbildungen im Rahmen unserer Fachstelle Schutzkonzepte.

Es ist unser Ziel, Fachkräfte in ihrer Arbeit zu unterstützen und sie zu befähigen, mit den besonderen Herausforderungen gerade durch hochbelastete Kinder und Jugendliche umzugehen.

In unserem Fachbereich Ambulante Rückfallprophylaxe haben wir auch im vergangenen Jahr eine weitere Zunahme der Anfragen beobachten müssen. Der drastische Anstieg der Nutzung und Verbreitung von Abbildungen sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen spiegelt sich auch in unserer täglichen Arbeit wider. Mit Sorge müssen wir beobachten, dass immer mehr Kinder und Jugendliche auch (sexuell) übergriffig werden – weil sie zum Teil unreflektiert und sorglos verbotene Inhalte konsumieren und teilen.