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Wenn Familien und Kinder Unterstützung brauchen – die Arbeit unserer Familien- und Erziehungshelfer

In einem großen Bericht hat der shz-Zeitungsverbund in allen Ausgaben in Schleswig-Holstein die Arbeit unseres Fachbereichs Erziehungs- und Familienhilfen porträtiert. In einem Interview mit Melanie Siepert und Carsten Arndt ging es auch um die Frage, welche zusätzlichen Belastungen durch die Coronapandemie bei den Familien gelandet sind und welche Auswirkungen das auf die Arbeit hatte und hat.

Anbei ein paar Ausschnitte aus dem Artikel von Cornelia Sprenger:

„Wenn Melanie Siepert und Carsten Arndt in eine neue Familie gehen, dann geht es den beiden Mitarbeitern des Elmshorner Vereins Wendepunkt vor allem erst einmal darum, Vertrauen aufzubauen. Gleichzeitig ist ihre Arbeit ein Drahtseilakt – zwischen dem Aufbau einer transparenten Beziehung, um der Familie bestmöglich helfen zu können. Und dem Risiko der Kindswohlgefährung, das häufig mit im Raum steht.

Denn Siepert und Arndt gehörten zum Team der sogenannten Hilfen zur Erziehung (HzE). Sie werden vom Jugendamt beauftragt, Familien zu unterstützen, in denen Eltern überfordert und Kinder vernachlässigt werden, in denen es Fälle von sexueller, seelischer oder körperlicher Gewalt gibt, in denen Jugendliche sich weigern, in die Schule zu gehen oder sich komplett von ihrer Umwelt isolieren.

„In den meisten Familien gibt es nicht das eine große Problem, sondern die Situation ist sehr vielschichtig“, erklärt Arndt, Erzieher mit dem Schwerpunkt Suchtberatung. (…)

Bei Arndt sind es oft Fälle, in denen Jugendliche zwischen acht und fünfzehn Jahren nur noch vorm Computer sitzen und „zocken“, wie es der Quickborner beschreibt. Sie haben sich komplett von ihrem Sozialleben isoliert, verweigern den Schulbesuch, werden von Gleichaltrigen gemobbt. „Wenn ich anfange, mit der Familie zu arbeiten, zeigt sich dann oft, dass die Eltern ihr Kind vernachlässigt haben“, sagt Arndt. „Oft spielt auch Alkoholmissbrauch eine Rolle.“

In anderen Fällen stellt sich später heraus, dass die Kinder geschlagen werden oder Erfahrungen mit sexueller Gewalt gemacht haben. Es ist dann die Aufgabe der Erziehungshelfer, behutsam herauszufinden, wo das eigentliche Problem liegt. Es ist ein bisschen wie Detektivarbeit.

Denn: „Oft versuchen die Eltern, Dinge vor uns zu verstecken. Weil sie Angst haben, Konsequenzen tragen zu müssen – oder dass ihnen am Ende ihre Kinder weggenommen werden“, sagt Melanie Siepert, ausgebildete Sozialpädagogin, die sich schwerpunktmäßig mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen und auch mit Fällen sexualisierter Gewalt auseinandersetzt.

Das Problem bei der Arbeit: In der Regel gibt es keine eindeutigen Symptome für Vernachlässigung oder traumatische Erfahrungen. Jedes Kind, jeder Jugendliche reagiert anders darauf. Einige zeigen körperliche Anzeichen, nässen sich ein, klagen ständig über Kopf- und Bauchschmerzen. Andere ziehen sich zurück, isolieren sich gegenüber ihrer Umwelt, werden depressiv. Und wieder andere schlagen wortwörtlich um sich, greifen Gleichaltrige an oder verletzen sich selbst. (…)

(Carsten Arndt hat beobachtet), wie sehr die Pandemie die bereits bestehenden Probleme verschärft hat. Bei den „eigenen“ Familien und bei Familien, die Kollegen betreut haben. „Wer vorher schon Probleme hatte, bei dem kamen die Sorgen der Pandemie oben drauf“, beobachtet Arndt. „Das Konfliktpotential ist durch Homeschooling oder Probleme mit dem Arbeitgeber enorm angestiegen. Diese Dynamik war für viele nur schwer auszuhalten. Eltern, die vorher ihre Kinder nie angeschrien oder geschlagen haben, taten das plötzlich – weil ihr Nervenkostüm die zusätzliche Belastung nicht ausgehalten hat, sie sich anders nicht zu helfen wussten.“

Dazu seien vermehrter Alkoholmissbrauch und das Wegfallen anderer sozialer Haltepunkte gekommen. Lehrer und Erzieher fielen oft als erstes „Alarmsystem“ für Probleme weg. (…)

„Wir machen uns große Sorgen, dass die Dunkelziffer derjenigen Kinder und Jugendlichen, die während der Pandemie leiden mussten, sehr groß ist“, sagt Dirk Jacobsen, Diplompsychologe und Geschäftsführer des Wendepunkts. „Die Dunkelziffer bei Gewalt jeglicher Form war schon vor der Pandemie sehr hoch, weil sich viele Opfer nicht trauen, darüber zu sprechen. Aber diese Fälle sind dann oft in der Kita oder Schule aufgefallen. Und das gab es ja jetzt oftmals gar nicht mehr.“

Er hofft darauf, dass diese Fälle jetzt nach Beendigung des Lockdowns nach und nach auffallen – und tatsächlich haben die Anfragen beim Wendepunkt in den letzten Wochen und Monaten auch bereits wieder zugenommen. „Die Nachfrage hat unsere Kapazitäten teilweise weit überschritten“, sagt Jacobsen.  (…)

Dass ein Kind tatsächlich – auf richterlichen Beschluss hin, aber nach Empfehlung der Erziehungshelfer – aus einer Familie genommen wird, ist nur das allerletzte Mittel. „Diese Entscheidung zu fällen, ist relativ einfach, wenn die Gewalt nicht aufhört und die Familien sich weigern, mit uns zusammenzuarbeiten“, sagt Melanie Siepert. „Aber es gibt auch deutlich kompliziertere Fälle. Ein klares Indiz ist es immer, wenn wir sehen, dass ein Kind leidet, wenn es Angst hat und sogar selber aus seiner Familie herauswill.““

– Quelle: https://www.shz.de/33664797 ©2021

Hier findet sich – hinter der Bezahlschranke – der vollständige Artikel:

https://www.shz.de/lokales/pinneberger-tageblatt/Wenn-Familien-nicht-mehr-weiter-koennen-id33664797.html

Anlass für den Artikel ist die landesweite Spendenaktion „Keine Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ des Vereins „Appen musiziert“. Opfer von körperlicher oder geistiger Gewalt, Misshandlung, Vernachlässigung und Verwahrlosung sollen in Schleswig-Holstein Hilfe erhalten. Gemeinsam mit zahlreichen Partnern wird Geld gesammelt. Die gesamte Spendensumme soll in Projekte von Trägern der freien Jugendhilfe fließen.