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Über 1000 Kinder, Jugendliche und ihre Familien haben in der Interdisziplinären Trauma-Ambulanz Westholstein seit Anfang 2021 Hilfe gesucht

Wenn sich ein Kind plötzlich verändert, sich anders verhält als vorher, Schwierigkeiten in der Kita oder Schule oder Schlafprobleme hat oder Verhaltensauffälligkeiten zeigt, dann sind das Alarmzeichen. Die Ursache dafür können belastende Erlebnisse oder traumatische Erfahrungen sein. Hier bietet die Interdisziplinäre Trauma-Ambulanz Westholstein schnelle und niedrigschwellige Beratung und Hilfe für die ganze Familie. Die Trauma-Ambulanz ist eine Kooperation zwischen der Beratungsstelle Wendepunkt e.V. und der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Regio Klinik und wird seit Anfang 2021 vom Kreis Pinneberg finanziert.

„Das Besondere an dem Konzept ist der nahtlose Übergang von Beratung zu Behandlung“, betont Martin Keck, Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes beim Kreis Pinneberg. „Jeder bekommt das Hilfsangebot, das er benötigt. Ich freue mich, dass wir mit dem Hilfsangebot schon so viele Kinder und Jugendliche erreicht haben. Die Kooperation wurde in vorbildlicher Weise umgesetzt.“

In 2021 kamen 621 Kinder und Jugendliche mit ihren Familien zur Trauma-Ambulanz, in 2022 waren es bis Ende September 457.

„Wir suchen dann mit den Betroffenen gemeinsam nach den Ursachen, nach dem auslösenden Ereignis und welche Auswirkungen es für sie hat“, erklärt Sascha Niemann, Leiter der Trauma-Ambulanz im Wendepunkt. „Dann versuchen wir zu erarbeiten, wie es gelingen kann, die Emotionen zu steuern und mit ihnen umzugehen. Wir tauschen uns mit den Kolleginnen und Kollegen darüber aus, wie die individuelle Beratung und Behandlung weitergehen sollte.“ Das Angebot reicht von niedrigschwelligen Angeboten wie pädagogischer Beratung oder auch Kunsttherapie zu traumapsychologischer Behandlung und stationärer Therapie.

„Wenn Klienten zu uns kommen und dann von uns erfahren, dass es für ihre Gefühle und ihr Verhalten Gründe und Ursachen gibt, dann ist das für sie sehr schnell entlastend und sie sehen ihre Schwierigkeiten in einem anderen Licht. Rasche, spezialisierte Hilfeangebote sind sehr wirksam“, sagt Ralph Kortewille, Leiter der Trauma-Ambulanz der Regio Klinik. „Eine solche Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Gesundheitssystem gibt es in Deutschland sonst nicht. Ich bin froh und dankbar, dass der Kreis Pinneberg das ermöglicht hat. Damit gibt es für die Kinder und Jugendlichen im Kreis ein besonderes Angebot, das eine reibungsarme, schnelle und langfristige Versorgung garantiert.“

Wendepunkt e.V. und Regio Klinik haben die Trauma-Ambulanz bereits 2014 ins Leben gerufen, um Kindern und Jugendlichen, die hochbelastende und schlimme Erfahrungen machen mussten, helfen zu können. Anfang 2021 wurde dann in Kooperation mit dem Kreis ein deutlich breiteres Angebot auf die Beine gestellt, das für das gesamte Kreisgebiet zur Verfügung steht. Die Arbeit wird in diesem Jahr mit 220.000 Euro finanziert.

In die Trauma-Ambulanz kommen verstärkt auch Familien, die mit den Folgen der Corona-Pandemie zu kämpfen haben. „Bei uns ist zum Beispiel ein Jugendlicher, der sehr unter den beengten Familienverhältnissen in den Zeiten des Lockdowns gelitten hat und nun in Folge seiner Ängste vor einer Ansteckung einen Waschzwang entwickelt hat“, berichtet Sascha Niemann. Selbst ganz junge Kinder leiden unter den Folgen. Kleine Kinder, die bisher nur Isolation kannten, haben nun Schwierigkeiten, soziale Kontakte aufzubauen und sich im Kindergarten einzugewöhnen.

„Die Reaktion auf belastende Erlebnisse ist individuell. Was manche bewältigen können, ist für andere hochstressig. Wenn jemand erlebt, dass er sich völlig hilflos fühlt, dass er keine Kontrolle mehr hat und nicht reagieren kann, dann kann es zu einem Trauma kommen“, erläutert Dirk Jacobsen, Geschäftsführer des Wendepunktes. „Hier ist es wichtig, dass diese Menschen schnelle Hilfe bekommen, damit sich das nicht festsetzt, damit sie es verarbeiten können.“ „Wenn Kinder und Jugendliche traumatische Erlebnisse hatten, ist es kein Makel, sich den Rat von Trauma-Experten zu holen,“ ergänzt Ralph Kortewille. „Es kann Fehlentwicklungen aufhalten und hilft Kindern und Jugendlichen, wieder handlungsfähig zu werden.“

Hochbelastende Erfahrungen können zum Beispiel Unfälle, schwere Krankheiten, Gewalterfahrungen, sexuelle Gewalt sowie Krieg und Flucht sein. Die Trauma-Ambulanz hat anlässlich des Ukraine-Krieges Informationsblätter für Flüchtlinge in ukrainischer Sprache zusammengestellt, die mögliche Symptome erklären, Selbsthilfe-Tipps geben und auf das Angebot der Trauma-Ambulanz hinweisen.

Ein weiteres Informationsblatt richtet sich an Kinder, Jugendliche und Familien, die unter seelischen Belastungen in Folge der Pandemie leiden – diese Blätter sollen an den Schulen im Kreis verteilt werden.

In der Trauma-Ambulanz sind insgesamt 11 Kräfte aus unterschiedlichen Fachbereichen beschäftigt. Psychologen, Sozialpädagogen, Kunsttherapeuten – alle mit traumatherapeutischen Fachkenntnissen. Für die Arbeit mit Flüchtlingen wird mit Sprachmittlern zusammengearbeitet, die ebenfalls über spezielle Fachkenntnisse verfügen.

„Wenn man frühzeitig eingreift und kompetente Hilfe anbietet, dann hat das auch einen sinnvollen Präventionseffekt. Denn es beugt psychischen Erkrankungen im Erwachsenenalter vor. Die Kinder und Jugendlichen können später ein normales Sozialleben haben und ins Berufsleben einsteigen, was ihnen sonst vielleicht nicht möglich wäre,“ betont Martin Keck.

Kontakt Interdisziplinäre Trauma-Ambulanz Westholstein:

Gärtnerstrasse 10-14, 25225 Elmshorn

Wendepunkt: info@wendepunkt-ev.de, Tel. 04121/47573-0

Regio Kliniken: Tel. 04121/7984755, Notfallbereitschaft: 04121/798-0

Foto in einem der Behandlungsräume:

Dirk Jacobsen, Geschäftsführer Wendepunkt e.V.

Ralph Kortewille, Leiter der Trauma-Ambulanz Regio Klinik

Sascha Niemann, Leiter der Trauma-Ambulanz Wendepunkt e.V.

Martin Keck, Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes Kreis Pinneberg