
In einem Interview mit der „taz“ spricht unser Mitarbeiter Karl Michaelis über die Arbeit mit sexuell auffälligen (jungen) Menschen. „Das sind Menschen, die sich im sexuellen Bereich abseits der Norm verhalten haben, also von den Wertvorstellungen einer Mehrheit der Gesellschaft abweichen. Ein Beispiel dafür ist, wenn das Recht am eigenen Bild verletzt wird. Wenn sich zwei Personen trennen und die eine danach Nacktfotos in sozialen Medien hochlädt. Oder wenn jemand ungefragt Kontakt aufnimmt, anzügliche Texte verschickt oder, was Männer sehr, sehr oft machen, Fotos vom eigenen Genital. Wenn das zwischen Minderjährigen und Erwachsenen stattfindet, ist das eine Straftat. Viele wissen auch nicht, dass sie die Abbildung eigener sexuellen Handlungen nicht weitergeben dürfen, wenn sie unter 18 sind, weil das den Straftatbestand der Verbreitung „kinderpornografischer“ Darstellungen erfüllt.“
Das vollständige Interview ist hier zu lesen: https://taz.de/Digitale-Medien-und…/!5880296/
Karl Michaelis ist Dipl.-Psychologe und systemischer Therapeut, Co-Leiter der Hamburger Beratungsstelle für sexuell auffällige Minderjährige und junge Erwachsene des Vereins Wendepunkt.
„Den Jugendlichen fehlt tatsächlich oft ein kritisches Bewusstsein, viele finden solche Bilder lustig und es relativiert sich, weil so viele mitmachen. Aber es bleibt sexuell gewalttätig oder zumindest auffällig, weil nicht alle solche Bilder verschicken. Und viele, aber das sind nicht nur Jugendliche, bagatellisieren die Gewalt, weil sie ja „nur“ in Medien stattfindet. (…) Der Bildschirm wird von den Gewaltausübenden oft auch als Schutzschild benutzt. In unserer Arbeit geht es viel darum, dass jemand seine Taten aus eigener Motivation aufarbeitet, also nicht nur, weil ihm andere sein falsches Verhalten gespiegelt haben, sondern er selbst das erkannt hat. Und das ist häufig schwerer bei digitaler Gewalt, weil die Distanz größer ist. Es gibt keine haptischen Zusammenhänge, kein unmittelbares Erleben der Tat, weil alles durch kognitive Verarbeitungsprozesse übersetzt wird.“
„Es geht bei sexueller Gewalt, auch bei physischer, immer darum, sich ein Delikt genau anzuschauen: Was hat dazu geführt, dass jemand innere und äußere Widerstände und dann den Widerstand der betroffenen Person überwunden hat? Die Menschen sagen oft: „Das ist so passiert, ich weiß auch nicht, was da geschehen ist.“ Die eigene Rolle wird nicht als aktiv wahrgenommen, auch um dem eigenen Schaden nicht begegnen zu müssen. Die meisten Menschen nimmt es sehr mit, wenn sie so eine starke Regel verletzt haben. Es dauert oft, bis sie die Verantwortung für ihre Tat übernehmen können. Das ist aber entscheidend, um nicht rückfällig zu werden. Sie müssen lernen, wie sie in kritischen Situationen den Ausstieg schaffen, welche Optionen sie haben ohne grenzverletzend zu handeln.“
Karl Michaelis hat das Interview im Rahmen eines Fachtages der Bremer Beratungsstelle „Schattenriss“ anlässlich ihres 35jährigen Bestehens (Glückwunsch!) gegeben, bei dem er als Referent geladen war.