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9. Interdisziplinäre Online Trauma-Fachtagung stieß auf bundesweite Resonanz

„Nach Traumatisierungen spüren Betroffene noch längere Zeit die Auswirkungen dieser „Notschaltungen“ ihres Körpers. Auch wenn sie sich in äußerer Sicherheit befinden, gerät der Körper noch hin und wieder in panische Zustände“, erklärt Alexander Korittko vom Zentrum für Psychotraumatologie und Traumatherapie Niedersachsen. „Es kann dann für sie hilfreich sein, durch spezielle Interventionen der „Psychologischen Ersten Hilfe“ auch eine innere Stabilität entwickeln zu können.“

Auf der 9. Interdisziplinären Traumafachtagung unter dem Titel „Traumatisierung nach Krieg, Flucht und Naturkatastrophen“ ging es um die Auswirkungen traumatischer Erfahrungen, um angemessene Unterstützungsangebote und neue Erkenntnisse und Ansätze traumatherapeuthischer Arbeit. Die zweitägige Veranstaltung wurde organisiert von der Interdisziplinären Trauma-Ambulanz Westholstein – eine Kooperation des Wendepunkt e.V. mit der Regio Klinik Elmshorn. In diesem Jahr fand die Fachtagung komplett online statt, was auf eine große Resonanz gestoßen ist. Für den ersten Tag mit insgesamt sechs Fachvorträgen zu verschiedenen Aspekten des Themenschwerpunktes hatten sich knapp 200 Teilnehmer*innen angemeldet – aus dem gesamten Bundesgebiet und sogar aus Österreich, der Schweiz und Luxemburg. An den Webinaren am zweiten Tag, in denen die verschiedenen Themen vertieft werden konnten, haben knapp 100 Fachkräfte aus den verschiedensten Bereichen teilgenommen.

„Die Vielfältigkeit des interdisziplinären Ansatzes dieser Tagung spiegelt sich auch bei den Teilnehmenden wieder. Es waren Mitarbeitende aus Kliniken, aus Hochschulen, Schulen und Kita dabei, aus den Bereichen Jugendhilfe, Erziehungsberatung, Förderzentren sowie von einzelnen Behörden und Ministerien“, erläutert Dirk Jacobsen, Geschäftsführer des Wendepunktes. „Die Veranstaltung hat sich über die Jahre inzwischen bundesweit einen Namen gemacht. Wir konnten wieder erstklassige Referent*innen gewinnen und sind sehr zufrieden mit der Nachfrage und den Rückmeldungen der Mitwirkenden und der Teilnehmenden!“

Corinna Posingies vom Institut für psychosoziales Krisenmanagement der MSH hat einen Vortrag zum Thema „Schule in der Krise – Auswirkungen und Chancen“ gehalten.

„Die Auswirkungen der langanhaltenden Coronavirus-Pandemie und des Ukraine-Krieges sind insbesondere in Schulen bei Kindern und Jugendlichen deutlich zu erkennen. Die gesamte Schulgemeinde befindet sich seit über 2 Jahren in einer „kollektiven Krise“- und solche Krisen erfordern besondere Maßnahmen und ein krisenspezifisch angepasstes pädagogisches Handeln.“

Anne Fischer, Psychologin an der Goethe-Universität Frankfurt am Main hat das „BESTFORCAN Projekt – Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen nach Gewalterfahrungen“ vorgestellt. „Viele traumatisierte Kinder und Jugendliche erhalten trotz guter Studienlage keine oder nicht evidenzbasierte Behandlungen. Ziel des Projekts BESTFORCAN ist es, die wirksame traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie (Tf-KVT) für mehr Kinder und Jugendliche mit einer PTBS nach Gewalterfahrung bei niedergelassenen Psychotherapeut*innen zu implementieren. Dazu gehört auch der Aufbau von interdisziplinären Hilfenetzwerken zwischen der Kinder- und Jugendhilfe, Beratungsstellen, Schulpsycholog*innen, Kinderärzt*innen und weiterem Fachpersonal.“

Dipl.-Psychologin Elisabeth Hüttche sprang kurzfristig für eine erkrankte Referentin ein und hielt einen Vortrag zum Thema „Trauma trifft Trauer“, über die Möglichkeiten, den Verlust und das Trauma in die eigene Biografie zu integrieren.

Dr. med. Daniel Dietrich vom Libereco Institut und Praxis beschäftigte sich in seinem Vortrag “Wenn unsere inneren Anteile dem Krieg näherkommen” mit der Frage, wie sich ein Weg finden lässt, „um Menschen, die den Krieg erlebt haben, empathisch und wohlwollend zu begleiten, ohne unsere eigene innere Sicherheit zu sehr aufzugeben.“

Gerade auch die Arbeit mit Geflüchteten birgt besondere Herausforderungen. „Ist die Psychotherapie auch interkulturell konzipiert und für alle passend?“, diese Frage stellte Dr. rer. nat. Dipl. psych. Solange Otermin von der Medius Klinik in Nürtingen. „Eine interkulturelle Kommunikation ist nicht nur bereichernd, es ist auch eine Herausforderung voller Missverständnisse. Die Kommunikation ist die Grundlage jeder Psychotherapie und wir sollten dann nicht nur die Sprache, sondern auch die Werte und die Gefühlsausdrücke von Personen aus anderen Kulturen übersetzen, um uns zu verständigen.“

Dipl.-Psychologen Ralph Kortewille und Halina Linke von den Regio Kliniken haben sich in ihrem Webinar mit den besonderen Herausforderungen in der Arbeit mit traumatisierten Kindern auseinandergesetzt. „Aufbrausende Emotionen sind im Umgang mit traumatisierten Kindern eher hinderlich. Nur innere Ruhe und echte professionelle Distanz hilft weiter. Und: Es ist viel einfacher einen am Kind orientierten, verstehenden Zugang zu finden als man denkt und die Methoden zu erlernen, die dazu nötig sind,“ erläutert Ralph Kortewille.

„Ein sehr bereichernder Fachtag“, „Vielen Dank, ich habe viel gelernt für meine Arbeit“, „Ich bedanke mich, so viele neue Impulse“, „Viel Input und Inspiration und Impulse – großes Lob für diesen gelungenen Fachtag“ – die Kommentare im Chat waren durchweg positiv. Auch die sachverständige und lebendige Moderation von Dipl.-Sozialpädagoge Holger Platte vom Wendepunkt bekam eine sehr positive Resonanz.

Die Organisation der Fachtagung inklusive des Aufbaus der Online-Plattform, die Möglichkeiten zum direkten Austausch im open call und vielfältige Hintergrundinformationen bot, war sehr aufwändig, hat aber dazu geführt, dass deutlich mehr Fachkräfte deutschlandweit erreicht werden konnten, als bei den früheren Präsenzveranstaltungen. „Das reine Online-Format hat offenbar dazu geführt, dass sich die Teilnehmenden auch noch kurzfristig entscheiden konnten – wir hatten noch sehr viele Anmeldungen, die kurz vorher eingetroffen sind. Das scheint mit dem momentanen Arbeitsalltag kompatibler zu sein“, berichtet Organisatorin Sophie Firle vom Wendepunkt. „Trotzdem hoffen wir, dass wir nächstes Mal wenigstens wieder eine Hybrid-Veranstaltung anbieten können, so dass auch ein persönlicher Austausch möglich ist.“

Foto (alle Wendepunkt e.V.):

Leon Petersen, Kaufmännischer Assistent für Informationsverarbeitung, Student der Wirtschaftsinformatik

Dennis Blauert, Leiter des Wendepunkt Fortbildungszentrums WFZ

Dirk Jacobsen, Geschäftsführer des Wendepunkt e.V.

Holger Platte, Dipl.-Sozialpädagoge und Moderator der Veranstaltung

Sascha Niemann, Leiter des Fachbereichs Traumazentrum

Sophie Firle, Kunsttherapeutin und -pädagogin und Organisatorin der Veranstaltung