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10 jähriges Jubiläum der Hamburger Beratungsstelle für sexuell auffällige Minderjährige und junge Erwachsene

Beratungsangebot mit bundesweiter Vorbildfunktion

„Arbeit mit Tätern ist vorrangig Opferschutz“, betont Bernd Priebe, Leiter der Hamburger Beratungsstelle. „Wir wollen, dass sexuell auffällige und übergriffige junge Menschen verstehen, welche Folgen ihre Taten haben. Und dass sie Empathie für ihre Opfer entwickeln. Das ist ein ganz wichtiger Bestandteil der Präventionsarbeit gegen sexuellen Missbrauch“.

Vor 10 Jahren wurde die Beratungsstelle für sexuell auffällige Minderjährige und junge Erwachsene bis 26 Jahre gegründet – finanziert vom Hamburger Senat. Damit ist sie eine der ganz wenigen regelfinanzierten Beratungsstellen dieser Art im gesamten Bundesgebiet. Die Arbeit der zurückliegenden Jahre zeigt: der Bedarf ist groß. Bundesweit ist unter denjenigen, die sexuelle Grenzverletzungen begehen, der Anteil der Kinder und Jugendlichen erschreckend hoch: Rund 24 % aller Tatverdächtigen in diesem Deliktbereich sind unter 21 Jahre alt.

Die Beratungsstelle ist Ansprechpartner für Eltern, Schulen und Jugendämter sowie die Jugendgerichtshilfe. Die Fälle sind sehr unterschiedlich und reichen von auffälligem Verhalten bis zu massiven Übergriffen, nach denen bereits ein Strafverfahren eingeleitet wurde.

Da ist zum Beispiel der 15jährige Alexander (Name geändert), der nach der Trennung von seiner Freundin Nacktfotos, die sie ihm geschickt hatte, ins Netz gestellt hat. Hier hat die Schule Hilfe gesucht, weil das ganze Klassenklima schwierig wurde. Die Mehrheit der Mitschülerinnen und Mitschüler sah zumindest eine Mitschuld bei dem Mädchen (´Die Schlampe hat sich das selbst zuzuschreiben´). Auch in Zeiten der „#MeToo“-Debatte werden Geschlechterklischees oft unreflektiert übernommen. In diesem Fall wurde mit der ganzen Klasse gearbeitet und über Grenzverletzungen und Rollenklischees diskutiert. Überhaupt sind sexuelle Grenzverletzungen im Internet und den sozialen Netzwerken keine Seltenheit und stellen eine besondere Herausforderung für Pädagogen und Eltern dar.

Aber es kommt auch immer wieder zu tätlichen sexuellen Übergriffen. Der 19jährige Luca (Name geändert) hat eine 16jährige Mitschülerin auf einer Party betrunken gemacht und anschließend vergewaltigt. Luca ist bereits wegen anderer Bagatelldelikte aufgefallen und ist alkoholabhängig. In seinem Fall hat sich die Jugendgerichtshilfe an den Wendepunkt gewandt.

Hier geht es um die Frage, wie Eltern und Schulen mit übergriffigen jungen Menschen umgehen. Der Opferschutz hat dabei absoluten Vorrang.

Aber so wie Taten nicht bagatellisiert werden dürfen, sollten sie auch nicht unnötig skandalisiert werden. „Eine Kindertagesstättenleitung hat sich an uns gewandt mit den Worten ´wir haben hier einen kleinen Triebtäter´“, erzählt Bernd Priebe. „Eine Fachberatung kann dabei helfen, Verhalten einzuordnen und Stigmatisierungen zu vermeiden. Zu gucken, was ist zum Beispiel altersgerechte Neugierde. Oder was sind die möglichen Ursachen für ein sexuell übergriffiges Verhalten? Ahmt das Kind etwas nach, was es womöglich zuhause erlebt?“

Für Betroffene von sexuellen Übergriffen gibt es zum Glück vielfältige Hilfeangebote. „Diese Beratungsstellen sollten jedoch zumindest räumlich von denen für sexuell Übergriffige getrennt sein. Wir halten es auch für sinnvoll, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen entweder in dem einen oder aber in dem anderen Bereich einzusetzen, um Loyalitätskonflikte zu vermeiden“, so Ingrid Kohlschmitt, Leiterin des Wendepunkt e.V., der ein breites Spektrum an Aufgaben abdeckt und unter anderem Träger der Hamburger Beratungsstelle ist. Der Wendepunkt mit Sitz in Elmshorn setzt sich seit 25 Jahren für einen respektvollen und gewaltfreien Umgang in Erziehung, Partnerschaft und Sexualität ein. „Es ist wichtig, dass es auch Beratungsstellen für Täter gibt, um ihnen eine zweite Chance und angemessene Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Der Wendepunkt hat seine Wurzeln in der Beratung gegen sexuellen Missbrauch und arbeitet dort strikt an der Seite der Betroffenen. Zum Schutz der Opfer müssen wir aber auch auf der anderen Seite handeln – das ist elementar für die Präventionsarbeit.“ Der Wendepunkt bietet schon seit 2001 Täterberatung an.

In die Beratungsstelle kommen auch viele Familien, bei denen es sexuelle Übergriffe unter Geschwistern gegeben hat. „Ein solches Geschehen hat das Potential, die ganze Familie zu sprengen“, weiß Bernd Priebe. „Es braucht jemanden von außerhalb, der der Familie helfen kann, die Ereignisse aufzuarbeiten. Gerade wenn es Opfer und Täter unter den Geschwistern gibt, ist es unheimlich schwierig, damit als Familie umzugehen.“

In der Arbeit mit sexuell auffälligen jungen Menschen werden die begangenen Taten und Übergriffe verurteilt. Aber den jungen Menschen muss auch eine Perspektive geboten werden. „Wenn wir einen Zugang zu den jungen Tätern erreichen und mit ihnen arbeiten, dann bekommen wir häufig das Feedback: ´Die verurteilen hier meine Tat, aber sie verurteilen nicht mich´. Dieses Gefühl ermöglicht es ihnen, sich mit ihrer Tat überhaupt erstmal auseinanderzusetzen“, erklärt Bernd Priebe. „Das ist dann der erste Schritt zur Rückfallprophylaxe.“

Neben der Beratung für auffällig gewordene Jugendliche und der pädagogisch-therapeutischen Intervention für Täter bietet die Hamburger Beratungsstelle auch Fachberatung für pädagogische Fachkräfte – von Kindergärten und Schulen hin zu Jugendzentren, Jugendfeuerwehren und Sportvereinen.