„Junge Menschen haben heute ein sehr differenziertes Gewaltverständnis, und das Thema Zustimmung ist ihnen wichtig. Doch gleichzeitig halten sich bei ihnen immer noch gesellschaftliche Mythen über Sexualität und sexualisierte Gewalt, die den Opfern eine Mitschuld geben – da wird bei der Kleidung und dem Verhalten der Betroffenen eine Mitverantwortung gesehen“, berichtet Prof. Dr. Anja Henningsen von der Fachhochschule Kiel, die Jugendliche zu ihren Sichtweisen über Sexualität, Grenzen und Gewalt befragt hat.
Auf der 10. Interdisziplinären Traumafachtagung in Elmshorn ging es um den Themenschwerpunkt „Trauma und sexuelle Gewalt“, der aus verschiedenen Perspektiven und unterschiedlichen Fachrichtungen beleuchtet wurde.
So referiert die Juristin Kirsten Böök, Leitende Ministerialrätin im Niedersächsischen Justizministerium, zu der Frage, inwieweit Juristische Aufarbeitung und Therapie einen Konflikt darstellen. Oft heißt es von Seiten der Polizei oder der Justiz, dass keine Behandlung von Betroffenen, besonders von Kindern, erfolgen soll, solange das Strafverfahren läuft, da sonst die Aussagen beeinflusst werden könnten. Kirsten Böök fordert hingegen: „Wenn ein Mensch krank bzw. traumatisiert ist und eine Therapie benötigt, dann soll er sie auch bekommen. Hier herrscht eine extreme Verunsicherung, die Justiz sollte sich dieser Problematik bewusster werden. Wenn in einem Fall wie dem schweren Kindesmissbrauch in Lüdge den betroffenen Kindern die Therapie vorenthalten wird, dann werde ich wütend.“
Der Interdisziplinäre Ansatz macht den Reiz dieser Veranstaltung aus, die sich in ihrem 10. Jahr in Fachkreisen längst einen Namen gemacht hat. Zu der Veranstaltung im Elmshorner Dienstleistungszentrum kamen 150 Fachkräfte, zum Workshop am folgenden Tag zum Thema „Kinder mit impulsiven Verhalten im Alltag feinfühlig begegnen“ haben sich 30 Personen angemeldet. Die Veranstaltung wird ausgerichtet von den beiden Kooperationspartnern der Interdisziplinären Trauma-Ambulanz Westholstein, dem Wendepunkt e.V. und der Regio Klinik Elmshorn.
Dr. Sarah Biedermann vom UKE in Hamburg berichtet in ihrem Vortrag über die Folgen von Traumatisierungen auf Sexualität und Partnerschaft. Sie bietet eine Gruppentherapie für Betroffene an. „Nach Traumatisierungen entwickeln sich sehr häufig Probleme im Bereich Sexualität. Die Betroffenen haben noch große Schwierigkeiten, entsprechende Hilfsangebote zu bekommen, da sich nur wenige Therapeuten damit beschäftigen“, so Biedermann.
Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß von der Hochschule Merseburg berichtet über das von ihm entwickelte Praxisprojekt zu interkultureller und intersektionaler Sexueller Bildung. „Auch Personen mit Fluchterfahrung und gerade unbegleitete junge Geflüchtete brauchen sexuelle Bildung – die Relevanz dieses Themas nimmt zu. Es ist wichtig, dass Fachkräfte mit Geflüchteten über Sexualität sprechen können – unsere entsprechenden Kurse werden sehr gut angenommen.“
Sozial- und Sexualpädagogin Bianca Tietz vom Wendepunkt erläutert die Gefahren im digitalen Raum für Kinder und Jugendliche und die Strategien von Täter*innen. Für sie ist die Frage wichtig, wie Kinder und Jugendliche aufgeklärt werden können und wie Präventionsarbeit erfolgreich sein kann.
Viresha Bloemeke, Hebamme und Heilpraktikerin für Psychotherapie in Hamburg, hilft Frauen und Familien, traumatische Erlebnisse rund um die Geburt zu verarbeiten. „Nach traumatischen Erfahrungen können die daraus folgenden Symptome das Wochenbett, die Bindung zum Kind, das Stillen oder auch eine Folgeschwangerschaft schwerwiegend überschatten.“
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Dr. Sarah Biedermann, Ralph Kortewille von der Regio Klinik, Prof. Dr. Anja Henningsen, Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß, Viresha Bloemeke, Kirsten Böök, Bianca Tietz und Sophie Firle (beide Wendepunkt e.V.)
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